WARUM: EVIDENZ FÜR DIE WIRKSAMKEIT CANNABINOID-BASIERTER MEDIKAMENTE

Es wurden umfangreiche Forschungsarbeiten zu Cannabinoid-basierten Medikamenten und medizinischem Cannabis durchgeführt. Nachfolgend erfahren Sie mehr über die Ergebnisse, welche den vielfältigen medizinischen Nutzen von Cannabis belegen.

Es existiert keine festgelegte Liste von Krankheiten, für deren Behandlung medizinisches Cannabis in Deutschland zugelassen ist. Doch im Rahmen der Anwendung an Patienten ergaben sich die folgenden Hauptindikationen für die Einnahme von medizinischem Cannabis (in absteigender Reihenfolge): Schmerzen, durch Krebserkrankungen bedingte Symptome, Spastik, Appetitlosigkeit mit starker Gewichtsabnahme (Kachexie) und Multiple Sklerose.1

Für welche Erkrankungen kann mein Arzt medizinisches Cannabis verschreiben

Ja. Es wurden beinahe 700 klinische Studien mit Cannabinoid-basierten Medikamenten durchgeführt, in denen die aktuell verwendeten Darreichungsformen von Cannabinoid-basierten Medikamenten, medizinischem Cannabis oder Cannabinoiden in reiner Form, wie z. B. CBD und THC, untersucht wurden.2 Einige dieser klinischen Studien waren umfangreich und qualitativ hochwertig andere eher limitiert. Auftraggeber waren akademische Institutionen und Organisationen sowie pharmazeutische Unternehmen. Die Studien umfassten zahlreiche Indikationen, unter anderem psychotische Störungen, zahlreiche Schmerzformen, Angstzustände, Schizophrenie, HIV/AIDS und Depressionen.

Im menschlichen Körper finden biologische Prozesse der Schmerzweiterleitung und -verarbeitung statt. Dazu gehört auch die Aktivierung des Endocannabinoid-Systems über die Freisetzung von Endocannabinoiden. Dies sind Substanzen, welche der Körper selbst zur Schmerzkontrolle bildet. Die Cannabinoide in medizinischem Cannabis wirken auf eben dieses System.3

Welche Rolle spielen Arzneimittel auf Cannabinoidbasis in der Schmerztherapie

Mehrere Schmerzgesellschaften und wissenschaftliche Institutionen haben Empfehlungen für den Einsatz von Cannabis-basierten Medikamenten zur Behandlung von Schmerzen herausgegeben. So hat z. B. die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) Empfehlungen für den Einsatz von Cannabinoiden bei durch Krebs bedingten chronischen Schmerzen, chronische Schmerzen anderer Ursachen, Nervenschmerzen, Spastik bei Multipler Sklerose sowie spastisch bedingten Schmerzen herausgegeben.4

Spastik ist ein Zustand mit abnormal gesteigerter Muskelspannung oder Steifigkeit der Muskeln. Sie tritt häufig bei Patienten mit Multipler Sklerose oder Rückenmarksverletzungen auf. Im Körper finden biologische Prozesse zur Einstellung der Muskelspannung statt. Unter anderem geschieht dies über Endocannabinoide. Dies sind Substanzen, welche der Körper selbst produziert, um Nervenzellen, welche die Muskelspannung regulieren, zu steuern. Die Cannabinoide in medizinischem Cannabis wirken auf eben dieses System.5

Mehrere medizinische Fachgesellschaften haben Empfehlungen für den Einsatz von cannabisbasierten Arzneimitteln bei Spastik herausgegeben. Im Jahr 2021 wurde die Anwendung von Nabiximols (THC und CBD) bei unzureichendem Behandlungserfolg der Spastik unter der Therapie mit Baclofen oder Tizanidine in die aktuellste Version der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) aufgenommen.6

Starke Appetitlosigkeit ist ein Symptom vieler chronischer Krankheiten und tritt häufig bei Krebs und HIV/AIDS auf. Der Körper hat seinen eigenen biologischen Mechanismus, um Appetit zu regulieren. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet das Endocannabinoidsystem, welches auf der Wirkung der Endocannabinoide beruht. Hierbei handelt es sich um chemische Substanzen, die vom Körper gebildet werden und Teil des Regulationsmechanismus des Appetits sind.7

Derzeit gibt es noch keine Leitlinien, die die Anwendung von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis zur Behandlung von Appetitlosigkeit nachdrücklich empfehlen.

Übelkeit und Erbrechen sind bekannte Nebenwirkungen der Therapie bei Krebserkrankungen und verschiedenen anderen schweren Erkrankungen. Diese Symptome können sowohl durch die Erkrankung selbst, aber auch durch Chemotherapie oder sogar durch die Behandlung mit Strahlentherapie hervorgerufen werden. Übelkeit und Erbrechen werden über das Gehirn und das zentrale Nervensystem (ZNS) gesteuert und unterliegen eigenen biologischen Regulationsmechanismen. Zu diesen zählt auch das Endocannabinoidsystem, da die vom Körper gebildeten Endocannabinoide Einfluss auf die Steuerung von Übelkeit und Erbrechen haben.8

Man geht davon aus, dass extern, über cannabinoidbasierte medizinische Produkte zugeführte Cannabinoide dieselbe Wirkung ausüben. Daher gehen viele Wissenschaftler und Ärzte davon aus, dass Cannabinoide für die Behandlung von Übelkeit und Erbrechen eingesetzt werden können.9

Welche Bedeutung haben Arzneimittel auf Cannabinoidbasis bei der Behandlung von Übelkeit und Erbrechen

Mehrere medizinische Fachgesellschaften haben Empfehlungen für den Einsatz von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen herausgegeben. 2020 hat das German Guideline Program in Oncology (GGPO), in Deutschland auch als Leitlinienprogramm Onkologie (OL) bekannt, darauf hingewiesen, dass Cannabinoide für die Behandlung von Übelkeit und Erbrechen eingesetzt werden können, wenn das Ansprechen auf andere Arzneimittel unzureichend ist.10

Schlafstörungen treten bei Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen auf. Darunter bei Patienten mit Multipler Sklerose, chronischem nicht tumorassoziiertem Schmerzsyndrom, Fibromyalgie und Morbus Parkinson. Der Körper verfügt über eigene biologische Mechanismen, um seinen Schlaf-Wach-Rhythmus (zirkadianer Rhythmus) zu steuern. Daran sind auch Endocannabinoide (chemische Substanzen, die der Körper zur Schlafregulation produziert) beteiligt. Man geht davon aus, dass externe Cannabinoide in cannabinoidbasierten medizinischen Produkten auf die gleiche Art und Weise wirken.11

Es gibt noch keine Leitlinien, die die Anwendung von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis zur Behandlung von Schlafstörungen nachdrücklich empfehlen.

Der menschliche Körper hat eigene biologischen Mechanismen zur Regulation von Erregung und Hemmung in den neuronalen Schaltkreisen des Gehirns. Dieses System ist bei Vorliegen einer Epilepsie im Ungleichgewicht. An einem dieser körpereigenen biologischen Regulationsmechanismen sind Endocannabinoide beteiligt.12 Externe Cannabinoide, vor allem Cannabidiol (CBD), können die im Gehirn von Epilepsiepatienten beobachtbare Übererregbarkeit über verschiedene Mechanismen positiv beeinflussen.12

Da Cannabidiol erst vor Kurzem bei Epilepsie zugelassen wurde, gibt es noch keine Leitlinien, die die Verwendung von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis zur Behandlung von Epilepsie nachdrücklich empfehlen.

Der Körper verfügt über eigene Regulationsmechanismen, um Stress und Angst zu bewältigen.

An diesen Regulationsmechanismen ist auch das Endocannabinoidsystem beteiligt, da Endocannabinoide, die vom Körper selbst produziert werden, Stress und Angst reduzieren können. Ein Beispiel hierfür ist die Tatsache, dass der Körper in Stresssituationen Neuron-stimulierende Hormone ausgeschüttet. Hier wirken die Endocannabinoide einer Überstimulierung entgegen. Es wird davon ausgegangen, dass externe Cannabinoide, die in cannabinoidbasierten medizinischen Produkten enthalten sind, auf die gleiche Weise wirken.13

Es gibt noch keine Leitlinien, die die Verwendung von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis zur Behandlung von Angstzuständen nachdrücklich empfehlen.

QUELLENANGABEN

  1. Schmidt-Wolf G, Cremer-Schaeffer P. 3 Jahre Cannabis als Medizin – Zwischenergebnisse der Cannabisbegleiterhebung. Bundesgesundheitsblatt. 2021;64: 368-377.
  2. US National Library of Medicine. ClinicalTrials.gov: Cannabis studies. Accessed September 1, 2021: https://clinicaltrials.gov/ct2/results?cond=&term=Cannabis&cntry=&state=&city=&dist=
  3. Di Marzo V, Piscitelli F. The endocannabinoid system and its modulation by phytocannabinoids. Neurotherapeutics. 2015;12(4): 692-698.
  4. Horlemann J, Schürmann N. DGS-PraxisLeitlinie: Cannabis in der Schmerzmedizin. Version 1.0. 2018. ISBN: 978-3-9817530-4-2.
  5. Centonze D. Advances in the management of multiple sclerosis spasticity: multiple sclerosis spasticity nervous pathways. Eur Neurol. 2014;72 (suppl 1): 6-8.
  6. Platz T. et al., Therapie des spastischen Syndroms, S2k-Leitlinie, 2018, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Accessed November 9, 2021. Online: www.dgn.org/leitlinien.
  7. Ezeoke CC, Morley JE. Pathophysiology of anorexia in the cancer cachexia syndrome. J Cachexia Sarcopenia Muscle. 2015;6(4): 287-302.
  8. Martin BR, Wiley JL. Mechanism of action of cannabinoids: how it may lead to treatment of cachexia, emesis, and pain. J Support Oncol. 2004;2(4): 305-314; discussion 314-316.
  9. Tramèr MR, Carroll D, Campbell FA, Reynolds DJ, Moore RA, McQuay HJ. Cannabinoids for control of chemotherapy induced nausea and vomiting: quantitative systematic review. BMJ. 2001;323(7303): 16-21.
  10. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft - Deutsche Krebshilfe - AWMF). Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung. Langversion 2.2 – September 2020 AWMF-Registernummer: 128/001OL. Accessed June 29, 2022: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/palliativmedizin/
  11. Kesner AJ, Lovinger DM. Cannabinoids, endocannabinoids and sleep. Front Mol Neurosci. 2020;13: 125.
  12. Perucca E. Cannabinoids in the treatment of epilepsy: hard evidence at last? J Epilepsy Res. 2017;7(2): 61-76.
  13. Maldonado R, Cabañero D, Martín-García E. The endocannabinoid system in modulating fear, anxiety, and stress. Dialogues Clin Neurosci. 2020;22(3): 229-239.