Es wurden umfangreiche Forschungsarbeiten zu Cannabinoid-basierten Medikamenten und medizinischem Cannabis durchgeführt. Nachfolgend erfahren Sie mehr über die Ergebnisse, welche den vielfältigen medizinischen Nutzen von Cannabis belegen.
Es existiert keine festgelegte Liste von Erkrankungen, für deren Behandlung medizinisches Cannabis in Deutschland anwendbar ist. Sie als Arzt müssen die Entscheidung treffen, dass keine andere Therapieoption existiert oder für den jeweiligen Krankheitszustand anwendbar ist, oder dass eine begründete Möglichkeit besteht, dass medizinisches Cannabis den Krankheitsprozess oder schwerwiegende Symptome positiv beeinflussen kann. Folgende Haupteinsatzgebiete haben sich für die Verordnung von medizinischem Cannabis herausgebildet (in absteigender Reihenfolge): Schmerzen, durch eine Krebserkrankung bzw.
-therapie bedingte Symptome, Spastik, Appetitlosigkeit mit starker Gewichtsabnahme (Kachexie) und Multiple Sklerose.1
Weitere Informationen über die einzelnen Anwendungsgebiete und medizinisches Cannabis finden Sie in den weiteren Fragen in diesem Abschnitt der WE CARE-Website.
Ja. In der Datenbank Clinicaltrials.gov finden Sie ca. 700 klinische Studien, wenn Sie als Stichworte für die mögliche Studienmedikation entweder „Cannabis”, „Cannabinoid”, „Cannabidiol” oder „THC” eingeben. Darunter sind auch mehr als 170 Studien, welche zum Stichtag 1, September 2021 gerade durchgeführt wurden (mit entweder noch laufender oder bereits abgeschlossener Rekrutierungsphase).2 Ausgeschlossen von der Recherche waren Studien, die sich mit der Untersuchung von Intoxikation, Abhängigkeit, Missbrauch bzw. missbräuchlicher Einnahme im Zusammenhang mit Cannabinoid-basierten Arzneimitteln befassten. Die meisten dieser klinischen Studien wurden durch akademische Institutionen oder Organisationen gesponsert, in einigen Fällen waren auch pharmazeutische Unternehmen die Auftraggeber. Die laufenden Studien umfassen ein weites Spektrum von Einsatzgebieten, darunter psychotische Erkrankungen, viele Schmerzformen, Angstzustände, Schizophrenie, HIV/AIDS und Depressionen. Ein Teil dieser Studien widmet sich auch speziell dem Suchtpotenzial und den Nebenwirkungen von medizinischem Cannabis.
Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein ubiquitär vorkommender endogener Signalweg zur Schmerzkontrolle.3 Wenn Sie mehr über das Endocannabinoid-System erfahren wollen, lesen Sie bitte den Abschnitt „WAS: ÜBER MEDIZINISCHES CANNABIS” auf dieser Website. Das ECS wird in allen nozizeptiven (Schmerz-) Bahnen, einschließlich der peripheren, spinalen und supraspinalen, exprimiert. Die CB1– und CB2-Rezeptoren haben direkten Einfluss auf Schmerzprozesse innerhalb der verschiedenen peripheren, spinalen und supraspinalen nozizeptiven neurologischen Strukturen. CB-Rezeptor-Agonisten unterdrücken in der Peripherie Mechanismen im Zusammenhang mit Hyperalgesie und Allodynie, während sie auf spinaler Ebene Mechanismen im Zusammenhang mit zentraler Sensibilisierung modulieren. Cannabinoide zeigen auch Aktivität in schmerzrelevanten Gehirnarealen, wie z. B. der periaquäduktalen grauen Substanz, dem Nucleus ventroposterolateralis sowie dem Thalamus. Erwähnenswert ist auch, dass CB1– und CB2-Rezeptor-unabhängige Cannabinoid-Effekte ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Schmerzverarbeitung spielen, wie z. B. die Wirkung von Cannabinoiden auf TRPV1 und pro-inflammatorische Mediatoren wie TNF-α.4
Die gezielte Beeinflussung des ECS-Systems durch exogene Cannabinoide kann somit den nozizeptiven Input an verschiedenen Orten regulieren und auf diese Weise eine Analgesie herbeiführen. Die anti-nozizeptive Wirkung von THC und CBD konnte in verschiedenen inflammatorischen und neuropathischen Schmerzmodellen eindeutig nachgewiesen werden.
Klinische Studien mit medizinischen Cannabispräparaten, die Dronabinol, getrocknete Cannabisblüten oder Cannabis-basierte Wirkstoffe wie Nabiximols enthielten, haben die Wirksamkeit von Cannabinoiden zur Behandlung chronischer Schmerzen verschiedener Ursache nachgewiesen. Diese Wirksamkeit ergab sich vor allem in Fällen, in denen konventionelle Behandlungen versagt hatten.5
Weltweit haben mehrere Gesellschaften für Schmerzmedizin und wissenschaftliche Gremien Empfehlungen zum Einsatz von Arzneimitteln auf Cannabisbasis in der Schmerztherapie herausgegeben. Hier sind zwei Beispiele6,7
Im Jahr 2018 hat die europäische Schmerzgesellschaft (EFIC) ein Positionspapier veröffentlicht, das den Einsatz cannabisbasierter Arzneimittel als Drittlinientherapie zur Behandlung chronischer neuropathischer Schmerzen vorsieht. Für alle weiteren chronischen Schmerzzustände (Tumorschmerzen, nicht neuropathische, nicht Tumor-assoziierte Schmerzen) sollte der Einsatz cannabisbasierter Arzneimittel als individueller Therapieversuch betrachtet werden.7 Alternativ können bei frustranem Einsatz von cannabisbasierten Arzneimitteln medizinische Cannabisformulierungen, wie Extrakte und getrocknete Blüten, eingesetzt werden.
Basierend auf Daten aus mehreren randomisierten klinischen Studien oder Metaanalysen hat die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) im Jahr 2017 den Gebrauch von Cannabinoiden zur Behandlung von Tumor-assoziierten chronischen Schmerzen, nicht Tumor-assoziierten chronischen Schmerzen, neuropathischen Schmerzen sowie durch Multiple Sklerose (MS) verursachte Spastik und schmerzhafte Spastik mit dem Empfehlungsgrad A bewertet.
Ebenso hat die DGS den Empfehlungsgrad B (Daten aus einer randomisierten Studie oder mehreren großen, nicht randomisierten Studien) für die Behandlung mit Cannabinoiden bei Morbus Crohn (antiinflammatorische Wirkung), bei Appetitlosigkeit oder Kachexie sowie für durch Chemotherapie induzierte Übelkeit und Erbrechen herausgegeben.
Der Empfehlungsgrad C (Expertenkonsens und/oder Nachweis aus kleinen Studien, retrospektiven Studien oder Registern) wurde für Schlafstörungen aufgrund von chronischen Schmerzen, rheumatisch bedingten Schmerzen, Muskelschmerzen, Fibromyalgie, viszeralen Schmerzen und Tourette-Syndrom ausgesprochen.6
Muskelspastik tritt bei bis zu 80 % der MS-Patienten auf und ist eine häufige sekundäre Beeinträchtigung nach Rückenmarksverletzungen.8 Die Spastik wird hierbei durch Zytokine, Prostaglandine und reaktive Sauerstoffspezies verursacht, die neuronale Bahnen verändern und zu Fluktuationen in den motorischen Schaltfunktionen und dem Muskeltonus führen.
Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass das Endocannabinoid-System (ECS) an der Regulierung des Muskeltonus beteiligt ist und dass die Spastik durch Aktivierung des ECS mit exogenen Cannabinoiden reduziert werden kann. Diese Wirkung wird über den CB1-Rezeptor vermittelt und führt zu einer Aktivierung eines K+-Kanals, einer Hyperpolarisierung der neuronalen Membran und letztlich zu einer verminderten Übererregbarkeit der Neuronen.9
Im Jahr 2011 erteilten die deutschen Gesundheitsbehörden die Zulassung für Nabiximols (eine 1:1-Kombination aus THC und CBD) als Mundspray zur Behandlung von mittelschwerer bis schwerer Spastik bei Multipler Sklerose (MS) für Patienten, die nicht ausreichend auf andere Medikamente gegen Spastik angesprochen haben.10 In klinischen Studien wurde eine positive Wirkung auf die Spastik bei MS nachgewiesen. Tatsächlich wurde in diesen drei Studien mit mehr als 500 Patienten der primäre Endpunkt (durchschnittliche Reduktion von Spastik auf einer numerischen Bewertungsskala) mit statistischer Signifikanz zugunsten von Nabiximols erreicht. Die Wirksamkeit wurde außerdem in mehreren prospektiven, nicht interventionellen Studien unter Alltagsbedingungen nachgewiesen.11
Auch medizinische Cannabisformulierungen wurden im Zusammenhang mit MS-bedingter Spastik untersucht. Eine orale Cannabislösung (bestehend aus 2,5 mg Δ9-THC, 1,25 mg CBD und < 5 % anderen Cannabinoiden) oder orales Δ9-THC zeigten Hinweise auf eine signifikante Wirksamkeit der Behandlung auf die subjektive, von Patienten beurteilte Spastik und Schmerzen, mit einer Verbesserung der Spastik.5 Diese Ergebnisse wurden in einer Studie zur Langzeitbehandlung für beide Formulierungen beobachtet.
Die verfügbaren Belege aus klinischen Studien deuten darauf hin, dass getrocknete Cannabisblüten (eingeschränkte Evidenz) und bestimmte Cannabinoide (Dronabinol, Nabiximols und orale THC/CBD-Lösungen) in gewissem Maße zu einer Verbesserung der bei MS auftretenden Symptome führen. Dazu gehören Symptome wie Spastik, Spasmen, Schmerzen, Schlaf und Symptome bei Blasenfunktionsstörungen. Das Gleiche wurde in Studien mit Patienten mit Rückenmarksverletzungen beobachtet.5
Mehrere medizinische Fachgesellschaften haben Empfehlungen für den Einsatz von cannabisbasierten Arzneimitteln bei Spastik herausgegeben. Zwei Beispiele dafür sind 12,13:
Im Jahr 2020 empfahl die Europäische Akademie für Neurologie (EAN) Nabiximols zur Reduktion von Spastik bei Patienten mit schwerer Multiple Sklerose. Dies wurde als „starke Empfehlung“ auf der Grundlage von „moderater Sicherheit der Evidenz“ eingestuft. Darüber hinaus wies die EAN darauf hin, dass andere verfügbare Produkte in Form von medizinischem Cannabis (z. B. Cannabis-sativa-Pflanzenextrakt) die Spastik bei Patienten mit schwerer Multiple Sklerose reduzieren könnten. Dies war eine „schwache Empfehlung“ auf der Grundlage von „moderater Sicherheit der Evidenz“.13
Im Jahr 2021 heißt es in der neuesten Fassung der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), dass Nabiximols (THC und CBD) zur Behandlung von Spastik aufgrund von Multipler Sklerose bei Patienten eingesetzt werden kann, bei denen Baclofen oder Tizanidin nicht ausreichen.12
Starke Appetitlosigkeit ist ein häufiges Symptom vieler chronischer Erkrankungen und wird häufig bei Krebs- und HIV/AIDS-Patienten beobachtet.
Cannabis wird seit langem mit einer Verbesserung des Appetits, einer Verringerung von Übelkeit und einem verbesserten Geschmacksempfinden in Verbindung gebracht. Wir wissen heute, dass endogene Cannabinoide, wie Anandamid, den Appetit über ihre Wirkung am CB1-Rezeptor steigern. Auf diese Weise erhöhen Cannabinoide den Spiegel von Neuropeptid Y im Hypothalamus, was zu einer Stimulierung der AMP-aktivierten Proteinkinase führt, die direkt die Nahrungsaufnahmeprozesse reguliert.14 Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Anandamid im Darm als „Hungersignal“ wirkt. Dieses Signal wird über den Vagusnerv an das Gehirn weitergeleitet. Kürzlich haben einige Untersuchungen gezeigt, dass Cannabinoide das Hormon Ghrelin beeinflussen, was ebenso zur Appetitanregung führt.14
Die verfügbaren Erkenntnisse aus klinischen Studien deuten darauf hin, dass Cannabis (begrenzte Evidenz) und Dronabinol den Appetit und die Kalorienaufnahme steigern sowie ein Gewichtszunahme bei Patienten mit HIV/AIDS fördern kann.
Die Evidenz für Dronabinol ist gemischt und bei Krebspatienten zeigt sich eine mäßige Wirksamkeit.5 In den USA ist Dronabinol als cannabinoidbasiertes Arzneimittel erhältlich und zur Behandlung von Anorexie in Verbindung mit Gewichtsverlust bei AIDS-Patienten sowie zur Behandlung von Krebspatienten mit chemotherapiebedingter Übelkeit und Erbrechen und bei Patienten, die auf herkömmliche antiemetische Behandlungen nicht ausreichend angesprochen haben, zugelassen.
Zusätzlich wurden in der letzten Zeit mehrere Beobachtungsstudien mit Krebspatienten veröffentlicht, die eine Verbesserung der Appetitanregung durch medizinische Cannabiszubereitungen, vor allem durch getrocknete Cannabisblüten, zeigen.5
Bisher gibt es keine Leitlinien, die die Anwendung von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis zur Behandlung von Appetitlosigkeit nachdrücklich empfehlen. Im Jahr 2010 stellte die European Palliative Care Research Collaborative (EPCRC) fest, dass Cannabinoide bei ausgewählten Patienten den Appetit steigern können, es aber insgesamt nicht genügend Beweise für ihren Nutzen in diesem Bereich gibt, um ihre Verwendung zu unterstützen (Empfehlungsgrad: schwach negativ; mittlerer Konsens).15
2017 stellte die Europäische Gesellschaft für Klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN) fest, dass Dronabinol (synthetisches Cannabinoid) das Potenzial hat, den Appetit bei Tumorkachexie zu verbessern. Diese Evidenz wurde jedoch als eingeschränkt und widersprüchlich eingestuft, so dass ESPEN keine Empfehlung aussprechen konnte.16
Übelkeit und Erbrechen sind häufige Nebenwirkungen bei Krebspatienten und bei diversen anderen schweren Erkrankungen. Übelkeit und Erbrechen können durch die Erkrankung selbst, Chemotherapie oder Strahlentherapie verursacht werden. Der Brechreflex hat seinen Ursprung im Rückenmark und wird durch eine Reihe von Nervenbahnen beeinflusst. Cannabinoide wirken als Neuromodulatoren auf präsynaptische CB1-Rezeptoren im ZNS, wo sie nicht nur den Appetit (siehe oben), sondern auch Übelkeit und Erbrechen modulieren.17,18 THC reduziert nachweislich Übelkeit und Erbrechen, was durch seine Wirkung am CB1-Rezeptor zu erklären ist. THC kann auch den 5-HT3-Rezeptor antagonisieren, was ebenfalls zur Regulierung von Übelkeit und Erbrechen beitragen könnte.
Während das durch die Chemotherapie ausgelöste Erbrechen in der Regel mit den derzeitigen Erstlinien- bzw. Dreifachkombinationstherapien (z. B. 5-HT3-Antagonisten, Neurokinin-1-Antagonisten und Kortikosteroide) gut kontrollierbar zu sein scheint, ist die damit verbundene akute, verzögerte und insbesondere die antizipatorische Übelkeit nach wie vor schlechter kontrollierbar. Der Einsatz von Cannabis/Cannabinoiden kann in solchen Fällen einen gewissen Nutzen bieten.5
In Deutschland ist Nabilon (ein synthetisches Cannabinoid) für die Behandlung von Übelkeit und Erbrechen bei Patienten zugelassen, die eine Chemotherapie aufgrund ihrer Krebserkrankung erhalten, wenn andere Medikamente unzureichend wirken.19 Dronabinol ist in den USA als cannabinoidbasiertes Arzneimittel erhältlich und zur Behandlung von Anorexie in Verbindung mit Gewichtsverlust bei AIDS-Patienten sowie zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen in Verbindung mit einer Chemotherapie bei Krebspatienten, die auf die Behandlung mit konventionellen Antiemetika nicht ausreichend angesprochen haben, zugelassen. In Deutschland ist Dronabinol als Rezeptur-Arzneimittel erhältlich.
Im Jahr 2015 führten Whiting et al. eine Metaanalyse von Studien durch, die Dronabinol, Nabilon, Nabiximols sowie andere Cannabinoide einschloss, und zeigten, dass die durchschnittliche Anzahl der Patienten, die bei Übelkeit und Erbrechen vollständig ansprachen, bei Cannabinoiden größer war als bei Placebo, insbesondere bei Dronabinol und Nabiximols.20
Darüber hinaus wurden kürzlich mehrere Beobachtungsstudien mit Krebspatienten veröffentlicht, die eine Verbesserung der Übelkeit und des Erbrechens unter der Behandlung mit medizinischen Cannabiszubereitungen, hauptsächlich getrockneten Blüten, zeigten.5
Eine aktuelle Veröffentlichung einer placebokontrollierten, randomisierten Doppelblindstudie, in der eine orale medizinische Cannabisformulierung (THC 2,5 mg : CBD 2,5 mg) zusätzlich zur antiemetischen Standardtherapie eingesetzt wurde, kam zu dem Schluss, dass die zusätzliche Gabe der medizinischen Cannabisformulierung mit weniger Übelkeit und Erbrechen verbunden war. Dies ist die allererste Studie, in der Cannabinoide mit der derzeitigen antiemetischen Therapie verglichen wurden.21
Mehrere medizinische Fachgesellschaften haben Empfehlungen für den Einsatz von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen veröffentlicht.
Im Jahr 2020 hat das Deutsche Leitlinienprogramm Onkologie (German Guideline Program in Oncology (GGPO)), eine gemeinsame Initiative der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland (AWMF), der deutschen Krebsgesellschaft (DKG) und der deutschen Krebshilfe, darauf hingewiesen, dass Cannabinoide bei Krebspatienten mit Übelkeit und Erbrechen eingesetzt werden können, die nicht auf Standardtherapien ansprechen. Diese Empfehlung erhielt Grad „0“ (offene Empfehlung; „kann erwogen werden“) mit Evidenzgrad „1+“ (gut durchgeführte Metaanalysen, systematische Übersichten oder RCTs mit geringem Risiko einer Verzerrung).22 In den USA zieht das National Comprehensive Cancer Network (NCCN) Cannabinoide für Patienten mit refraktärer oder durchbrechender CINV in Betracht.23
Schlafstörungen können bei Patienten mit unterschiedlichen Erkrankungen, einschließlich Multipler Sklerose, Schmerzen aufgrund einer Krebserkrankung, chronischen Schmerzen ohne Krebserkrankung, Fibromyalgie und Morbus Parkinson auftreten. Es ist bekannt, dass das Endocannabinoidsystem (ECS) eine wichtige Rolle für den Schlaf und dessen Neurophysiologie spielt. Daten deuten darauf hin, dass die Aktivierung des ECS den Schlafzustand im Schlaf-Wach-Rhythmus aufrechterhält und/oder fördert und dass an dieser Aktivierung der CB1-Rezeptor beteiligt ist. Eine erhöhte Aktivität des ECS ist schlaffördernd, während eine verminderte Aktivität zu Schlafstörungen führt.24
Daten legen nahe, dass THC eine dosisabhängige Wirkung auf den Schlaf hat. Diese wird über den CB1-Rezeptor vermittelt. Niedrige THC-Dosen scheinen die Einschlafzeit zu verkürzen, Tiefschlafphasen und Gesamtschlafzeit zu verlängern, während hohe THC-Dosen anscheinend zu Schlafstörungen führen. In ähnlicher Weise spielt CBD eine Rolle beim Schlaf. Niedrige CBD-Dosen erhöhen die Wachheit, während hohe CBD-Dosen sedierend wirken und die Häufigkeit der nächtlichen Aufwachphasen verringern.24
Schlafstörungen wurden in Studien mit Arzneimitteln auf Cannabisbasis als sekundärer Endpunkt bei verschiedenen Erkrankungen untersucht. Ein Kompendium der Ergebnisse klinischer Studien mit Nabiximols (THC and CBD) bei Multipler Sklerose und chronischen Schmerzen, das 2007 von Russo et al. erstellt wurde, zeigt einen statistisch signifikanten Behandlungsvorteil in Bezug auf die Schlafqualität, die ein sekundärer Endpunkt in diesen Studien war.25 In einer Studie zur Langzeitsicherheit, die eine kombinierte Kohorte von 287 Patienten mit zentralen oder peripheren neuropathischen Schmerzen umfasste, erreichten etwa 40 % der Patienten, die mit Nabiximols (THC und CBD) behandelt wurden, eine gute bis sehr gute Schlafqualität, die bis zu zwei Jahren erhalten blieb.25
Andere klinische Studien, die mit medizinischem Cannabis in Form von Dronabinol, Cannabisextrakten zum Einnehmen (0,9 mg/ml THC and 2,5 mg/ml CBD) und getrockneten Blüten durchgeführt wurden, zeigten ebenfalls positive Ergebnisse in Bezug auf die Schlafqualität bei verschiedenen Erkrankungen.5 Zudem wurden kürzlich mehrere Beobachtungsstudien an Krebspatienten veröffentlicht, die eine Verbesserung der Schlafqualität durch medizinische Cannabiszubereitungen, hauptsächlich durch getrocknete Blüten nachwiesen.5
Es gibt derzeit noch keine Leitlinien, in denen der Einsatz von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis zur Behandlung von Schlafstörungen ausdrücklich empfohlen wird.
Über viele Jahre haben Untersuchungen die Bedeutung von Cannabinoiden für das Krankheitsbild der Epilepsie aufgezeigt. Das Endocannabinoidsystem (ECS) reguliert die kortikale Erregbarkeit und es wird angenommen, dass Endocannabinoide eine stabilisierende Wirkung auf das Gleichgewicht zwischen erregenden und hemmenden Neurotransmittern im ZNS haben können.26 Bei der Epilepsie kommt es zu einer Veränderung der CB1-Rezeptor- und DAGL-Expression im Hippocampus sowie zu Veränderungen des Anandamidspiegels (Endocannabinoid).27 Dies deutet darauf hin, dass das ECS eine Rolle bei Epilepsie spielt. Neben dem ECS verfügt Cannabidiol (CBD) über weitere krampflösende Mechanismen, die auch bei Epilepsie eine Rolle zu spielen scheinen. CBD reduziert die neuronale Übererregbarkeit durch die Modulation von GPR55 und TRPV1 sowie die Modulation der Adenosin-vermittelten Signalübertragung durch die Hemmung der zellulären Aufnahme von Adenosin über ENT-1.27
Im Jahr 2019 wurde Cannabidiol (Epidyolex®) von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) für die gemeinsame Verabreichung mit Clobazam zur Behandlung von Krampfanfällen bei Patienten ab zwei Jahren mit Lennox-Gastaut-Syndrom und Dravet-Syndrom zugelassen.28 Dabei handelt es sich um zwei seltene, aber sehr belastende Formen der Epilepsie. Die Zulassung basiert auf Ergebnissen von vier klinischen Studien mit mehr als 700 Patienten.28 Es zeigte sich eine Überlegenheit von CBD gegenüber Placebo hinsichtlich einer Abnahme der Häufigkeit von konvulsiven Krampfanfällen (tonisch-klonisch, tonisch und atonisch) bei Patienten mit Dravet-Syndrom und einer Abnahme der Häufigkeit von Sturzanfällen (Drop Attack) bei Patienten mit Lennox-Gastaut-Syndrom.
In anderen Studien (z. B. offene Phase II- oder Beobachtungsstudien), die mit pädiatrischen Patienten durchgeführt wurden, welche unter einer therapierefraktären Epilepsie litten, wurden Cannabidiolformulierungen mit einer geringen THC- Konzentration (2 mg/ml THC:100 mg/ml CBD, 1:20 THC:CBD oder 1:25 THC:CBD) verabreicht. Damit sollte gezeigt werden, dass Patienten von den antiepileptischen Eigenschaften des THC zusätzlich zu einer Behandlung mit CBD profitieren können.29-32 Im Wesentlichen haben diese Studien eine gute Verträglichkeit gezeigt und den Nachweis erbracht, dass Cannabinoiden eine Rolle bei der Behandlung von Kindern mit unkontrollierter Epilepsie zukommt.
Da Cannabidiol erst kürzlich für die Behandlung von Epilepsie zugelassen wurde, gibt es derzeit noch keine Leitlinien, die den Einsatz von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis zur Behandlung von Epilepsie nachdrücklich empfehlen.
Das Endocannabinoid-System (ECS) spielt eine wichtige Rolle bei der Kontrolle von Emotionen, einschließlich Stress, Angst und Furcht. Bei Stress wird die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA) aktiviert, was eine Kaskade von Ereignissen auslöst, die zur Ausschüttung verschiedener Hormone, inklusive Glukokortikoiden führt. Dadurch wird ein negativer Rückkopplungsmechanismus aktiviert, der dazu beiträgt, eine Überaktivierung zu begrenzen. Eine Komponente hierbei bilden das ECS und das Endocannabinoid 2-AG, das nach Bindung an den CB1-Rezeptor die Ausschüttung von hypothalamischem Corticotropin-Releasing Hormon (CRH), adrenocorticotropem Hormon (ACTH) und Glucocorticoiden moduliert.33
Die Aktivierung von CB1-Rezeptoren, die sich in den exzitatorischen glutamatergen Nervenendigungen befinden, hemmt die Glutamatfreisetzung und induziert Anxiolyse. Im Gegensatz dazu führt die Aktivierung von CB1-Rezeptoren, die sich in den inhibitorischen GABAergen Neuronen des Vorderhirns befinden, zu einer Reduktion des inhibitorischen GABA-Tonus und somit zu einer Begünstigung der Entstehung von Angst.33
Für THC und CBD hat sich gezeigt, dass sie anxiolytische Wirkungen über unterschiedliche Mechanismen entfalten. So führt beispielsweise die Stimulierung von CB1-Rezeptoren (wahrscheinlich auf exzitatorischen Neuronen), bei niedrigen THC-Dosen zu Anxiolyse und gehobener Stimmung. Dagegen haben höhere Dosen von THC über die Stimulation von CB1-Rezeptoren (wahrscheinlich auf inhibitorischen Neuronen) eine anxiogene Wirkung und erzeugen eine gedrückte Stimmung. Der anxiolytische Mechanismus von CBD ist noch nicht vollständig verstanden, aber es ist bekannt, dass er nicht über den CB1-Rezeptor vermittelt wird. Es wird angenommen, dass die Wirkung über den 5-HT1A-Rezeptor erfolgt.33
Derzeit gibt es noch keine Leitlinien, die den Einsatz von Arzneimitteln auf Cannabinoidbasis zur Behandlung von Angststörungen nachdrücklich empfehlen.